Im Gespräch mit Dr. Jürgen Klowait

Im Anschluss an seine langjährige Tätigkeit in der Energiewirtschaft und im Anlagenbau – u.a. als Leiter Recht, Prokurist und Compliance Officer im E.ON-Konzern – ist Dr. Jürgen Klowait als Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator sowie als Interim Manager, Business Coach und Inhaber von Consulting Dr. Klowait freiberuflich tätig. Er verfügt über umfangreiche Praxiserfahrung in innerbetrieblichen Mediationsverfahren wie auch bei Mediationen zwischen Unternehmen. 

Das unter seiner Leitung implementierte Projekt der Mediation im E.ON-Konzern, in dessen Zuge deutschlandweit ein interner Mediatorenpool aufgebaut wurde, ist 2008 mit dem CEDR Award for Excellence in ADR ausgezeichnet worden. Herr Dr. Klowait ist Initiator und Mitgründer des Round Table Mediation & Konfliktmanagement der Deutschen Wirtschaft und gehört dem European Advisory Board des International Institute for Conflict Prevention & Resolution mit Sitz in New York an. Er ist Lehrbeauftragter für Konfliktmanagement in Unternehmen und Organisationen an der Europa Universität Frankfurt a.d. Oder und Autor zahlreicher Fachpublikationen, u.a. als Mitherausgeber eines Kommentars zum Mediationsgesetz.

Wie sehen Sie den Stellenwert der Mediation im Wirtschaftsbereich?

Ich denke, dass die Mediation als Alternative zu Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren in den vergangenen Jahren nicht nur gesamtgesellschaftlich, sondern auch in der Wirtschaft an Bedeutung gewonnen hat. Allerdings können die tatsächlichen Nutzungsraten der Mediation im Wirtschaftsbereich nicht mit ihrem gestiegenen Bekanntheitsgrad mithalten. Es ist immer noch häufig festzustellen, dass der Mediation von Unternehmen zwar große Vorteile im Vergleich zu gerichtlichen Drittentscheidungsverfahren zugeschrieben werden – so etwa unter Kosten- und Zeitaspekten -, dass die Konfliktparteien sich aber dennoch scheuen, den „letzten entscheidenden Schritt“ in die Mediation tatsächlich zu gehen.    

Auch unter Zugrundelegung Ihrer eigenen Unternehmenserfahrung – was sind Ihrer Einschätzung nach die Ursachen für diese Zurückhaltung?

Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen. Von einem Verfahren wie der Mediation abstrakt gehört und es tatsächlich in seiner Durchführung erlebt zu haben, sind per se zwei verschiedene Welten. Einerseits gibt es sehr hohe Zufriedenheits- und Weiterempfehlungsraten von Mediationsteilnehmern; andererseits ist Mediation für die meisten Unternehmensrepräsentanten – jedenfalls in ihrer praktischen Anwendung - auch heute noch „etwas Neues“. Das gilt im Übrigen auch für Unternehmensjuristen, denn die juristische Ausbildung ist nach wie vor auf die klassisch-rechtlichen Berufsfelder wie die Richter- oder Anwaltschaft fokussiert. Gewohnte Pfade zu verlassen, erfordert schon ein gewisses Maß an Offenheit. Dies in Verbindung damit, dass es auch heute noch Fehlzuschreibungen und falsche Vorstellungen darüber gibt, was Mediation ist – und was nicht - mag einen Teil der  Zurückhaltung erklären, insgesamt häufiger von Mediation Gebrauch zu machen. Speziell bei B2B-Konflikten kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Wer hier erwägt, eine Mediation vorzuschlagen, tut dies im Zweifel nicht, wenn er fürchten muss, dass die andere Konfliktpartei dies als Zeichen von Schwäche bzw. als mangelndes Vertrauen in ein gerichtliches Obsiegen werten könnte.

Setzt hier der vom Round Table Mediation & Konfliktmanagement geförderte Gedanke eines ADR-Corporate Pledges an?

Ja, in der Tat, genau dies ist ein Ansatzpunkt des Corporate Pledge Gedankens. Sobald ein Unternehmen nicht nur auf einen speziellen Einzelfall bezogen erklärt, Alternativen zu einem Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren in Erwägung zu ziehen, sondern aktiv kommuniziert, eine solche Verfahrensoffenheit grundsätzlich als Bestandteil seiner Konfliktlösungskultur anzusehen – und darum geht es im Kern bei der hier angesprochenen Corporate Pledge Erklärung - werden mehrere Ziele erreicht. Der jeweilige Geschäftspartner kennt in diesem Fall die grundsätzliche Offenheit des Unternehmens, in passenden Konfliktfällen auch außergerichtliche Verfahren anzuwenden. Der möglichen (Fehl-)Interpretation, man votiere in einem speziellen Einzelfall deshalb für ein außergerichtliches Verfahren, weil es hier am Vertrauen auf einen gerichtlichen Erfolg mangele, wird damit von vorneherein die Grundlage entzogen. Die Abgabe einer solchen Erklärung wirkt aber nicht nur nach außen; sie entfaltet auch eine starke Signalwirkung auf die eigenen Mitarbeiter. Hat die Geschäftsführung eines Unternehmens ein entsprechendes Commitment abgegeben, signalisiert dies dem mit der Konfliktlösung befassten Mitarbeiter, dass er, ohne gegen innere Widerstände im Unternehmen ankämpfen zu müssen, auch für ein außergerichtliches Verfahren votieren und in Gespräche mit dem jeweiligen Vertragspartner über dessen Vereinbarung eintreten darf.

Worum geht es genau beim Thema Corporate Pledge und wie ist der Wortlaut einer solchen Unternehmenserklärung?

Unter einer Corporate Pledge - Erklärung im hier beschriebenen Zusammenhang versteht man die publizierte freiwillige Selbstverpflichtung eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe, im Fall eines Konfliktes mit einem anderen Unternehmen auch die Methoden der außergerichtlichen Streitbeilegung – unter Einschluss der Mediation, aber auch anderer Verfahren wie z.B. Schlichtung, Adjudikation oder Dispute Boards - zu berücksichtigen, ihre Anwendung ernsthaft zu prüfen oder zumindest in Betracht zu ziehen. Dementsprechend ist die Kernaussage einer solchen Erklärung – die der Round Table übrigens unter dem Synonym „Conflict Management Codex“ behandelt – dass das betreffende Unternehmen anstrebt, Konflikte mit dem zur individuellen Streitbeilegung bestmöglich geeigneten Verfahren beizulegen und sich deshalb grundsätzlich bereit erklärt, im Konfliktfall alle in Betracht kommenden Streitbeilegungsverfahren ergebnisoffen prüfen. Bestandteil der Erklärung ist weiterhin, dass das Unternehmen - wenn sich aus dessen Sicht ein außergerichtliches Verfahren gegenüber einem Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren als vorteilhaft darstellt – bereit ist, mit seinen Geschäftspartnern die Möglichkeit der Vereinbarung und Durchführung dieses Verfahrens zu erörtern. Der genaue Wortlaut der Erklärung ist auf der Homepage des Round Table Mediation & Konfliktmanagement der Deutschen Wirtschaft hinterlegt (www.rtmkm.de). 

Das heißt aber, der Conflict Management Codex beinhaltet keine Festlegung auf ein bestimmtes Verfahren, oder?

Richtig. Unternehmen, die den Conflict Management Codex unterzeichnen, bleiben selbstverständlich vollkommen frei, Konflikte weiterhin auch gerichtlich oder schiedsgerichtlich klären zu lassen. Jede Festlegung auf ein bestimmtes Verfahren würde dem Ziel des Conflict Management Codex auch zuwiderlaufen. Denn es soll ja gerade der Blick für die ganzheitliche Betrachtung des zur Verfügung stehenden Verfahrensspektrums geöffnet werden, damit eine der zentralen Fragen für eine professionelles Konfliktmanagement ins Bewusstsein rückt, nämlich: Welches Verfahren passt am besten zum vorliegenden Konflikt? Damit die Weichenstellung für die Wahl des jeweils bestgeeigneten Verfahren richtig vorgenommen wird, bedarf es allerdings des Appells, in diese Prüfung außergerichtliche Verfahren einzubeziehen und diese als grundsätzlich gleichwertige Verfahrensoption zu behandeln. Das zeigt die Unternehmenspraxis, in der oftmals zu unreflektiert gerichtliche Verfahren eingeleitet werden, wenn sich ein Konflikt zuvor auf dem Verhandlungsweg nicht hat lösen lassen.

Wenn der Appell-Charakter des Conflict Management Codex im Mittelpunkt steht, kann der jeweilige Geschäftspartner sich also nicht darauf berufen, dass das unterzeichnende Unternehmen ein bestimmtes Verfahren bevorzugt wählen muss?     

So ist es. Die Unterzeichnung des Conflict Management Codex ist eine freiwillige Selbstverpflichtung des Unternehmens. Sie begründet keine Rechtspflicht zur Wahl eines bestimmten Verfahrens und infolgedessen kann sich ein anderes Unternehmen auch nicht im Rechtssinne darauf berufen – übrigens auch dann nicht, wenn es selbst den Conflict Management Codex unterzeichnet hat. Und natürlich können bestehende vertragliche Streitbeilegungsklauseln auch nicht einseitig geändert werden. Es gibt allerdings genügend Fälle, in denen die Unternehmen erkennen, dass die ursprünglich vereinbarte Regelung zur Lösung ihres konkreten Konfliktes nicht die beste Wahl ist. Und in diesen Fällen erleichtert eine entsprechende Unternehmenserklärung es deutlich, zum Beispiel in einem komplexen Baukonflikt, bei dem die vertraglich vorgesehene (Schieds-)Gerichtsklausel ersichtlich nicht zu der erwünscht schnellen Konfliktlösung führt, für die Mediation, die Adjudikation oder ein anderes Verfahren einzutreten – zunächst unternehmensintern, im zweiten Schritt dann aber auch gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner.

Gibt es bereits Erfahrungswerte mit solchen Corporate Pledges?

Ja. Wie vorteilhaft und effektiv der Ansatz ist, Freiwilligkeit und unternehmerisches „Commitment“ zur Förderung einer optimierten Verfahrenswahl zu verbinden, zeigt sich insbesondere am Erfolg des sog. CPR-Corporate Pledges in den USA. Über 4000 Unternehmen und Konzerne und mehr als 1500 Kanzleien haben diesen Pledge dort unterzeichnet. Auch wenn die Rahmenbedingungen in den USA nicht gänzlich mit denen in Europa und Deutschland vergleichbar sind, zeigt dies das große Potenzial auf, mit einer einfachen Maßnahme wie der Unterzeichnung eines Pledges das unternehmerische Konfliktmanagement und die Kooperation unter Geschäftspartnern zu verbessern. Zudem trägt eine differenzierte Verfahrenswahl unmittelbar zu einer gesteigerten Wertschöpfung des Unternehmens bei.

Sie sind also optimistisch, dass ein ADR-Corporate Pledge bzw. die Unterzeichnung des Conflict Management Codex auch in Deutschland Impulse für die Wirtschaftsmediation und andere außergerichtliche Verfahren setzen kann?

Ja, durchaus. Ich bin davon überzeugt, dass Verhaltensänderungen auf der Verfahrensebene der Konfliktbearbeitung in der Wirtschaft dann nachhaltig sind, wenn sie „corporate-driven“ sind, also letztlich von den Nutzern entsprechender Verfahren ausgehen. Genau dies ist bei der Initiative zur Etablierung eines Corporate Pledges im deutschsprachigen Raum – namentlich in Gestalt des Conflict Management Codex – der Fall, denn mit dem Round Table Mediation & Konfliktmanagement der Deutschen Wirtschaft sie von der Organisation aus, welche die Interessen privatwirtschaftlicher Unternehmen an einem optimierten unternehmerischen Konfliktmanagement repräsentiert. Unabhängig von der Initiatorenrolle des Round Table ist dies allerdings mit dem Verständnis einer breit angelegten und keinesfalls auf die Mitgliedsunternehmen des Round Table beschränkten Umsetzung verbunden. Auch die Zwischenbefunde der wissenschaftlichen Begleitforschung zu diesem Thema stimmen durchaus optimistisch: Im Rahmen der aktuell laufenden Datenauswertung für die im Herbst 2016 erscheinende Studie „Konfliktmanagement V“, die von der Europa Universität Viadrina und PWC herausgegeben wird, zeichnet sich ab, dass über 80% der befragten Unternehmen die Unterzeichnung eines Corporate Pledges zum Themenfeld Konflikt befürworten.

Das ist in der Tat eine beeindruckende Zahl. Dennoch: Gibt es auch mögliche Hindernisse?

Ein spürbarer Erfolg wird sich nicht von heute auf morgen einstellen. Dabei kommt der Anfangsphase der Umsetzung besondere Bedeutung zu. Denn – auch das zeigen die erwähnten Forschungsergebnisse – für viele Unternehmen ist es durchaus bedeutsam, den Schritt zur Abgabe einer Corporate Pledge Erklärung nicht allein, sondern „in guter Gesellschaft“ zu gehen. Das heißt, das auch grundsätzlich „geneigte“ Unternehmen zunächst beobachten werden, welche anderen Unternehmen einen Conflict Management Codex unterzeichnen. In der Startphase kommt es also darauf an, dass erste Unternehmen aktiv werden und andere sich durch diesen Schritt ermutigt fühlen, mitzuziehen. Das ist sicher die größte Herausforderung der Implementierung. Hat sich aber erst einmal ein gewisses Momentum entwickelt, stehen die Chancen gut, dass sich signifikante Eigendynamiken entfalten und der Trend zu sichtbarer „ADR-Offenheit“ sich weiter verstärkt.

Was sind die weiteren Schritte? 

Für Unternehmen, die den Conflict Management Codex unterzeichnen möchten, sind die weiteren Schritte denkbar einfach. Sie können sich mit einer grundsätzlichen Interessensbekundung, die auf Wunsch zunächst als vertraulich und unverbindlich eingestuft würde, formlos an den Round Table wenden. Im Falle einer solchen Interessensbekundung würde das jeweilige Unternehmen mit in den Verteiler für die weitere Konkretisierung aufgenommen. Als Programmpunkt der Tagung Konfliktmanagement V, die am 06. und 07.10.2016 an der Bucerius Law School in Hamburg stattfinden wird, ist für den Abend des 6. Oktober 2016 bereits eingeplant, dass eine Riege von Unternehmen den deutschen Corporate Conflict Pledge unterzeichnen wird. Einige Wochen vor dieser Tagung wird eine Liste der grundsätzlich Interessierten an die jeweils anderen Unternehmen versandt werden, damit – in Kenntnis des Kreises der unterzeichnungsbereiten Unternehmen – eine verbindliche Entscheidung über die (Mit-)Unterzeichnung getroffen werden kann. Natürlich besteht daneben auch die Möglichkeit, eine Unterzeichnung unabhängig von der Teilnahme an der Tagung am 06.10.2016 vorzunehmen. In diesem Fall sollte der Round Table idealerweise kurz über die Unterzeichnung informiert werden, damit der Gesamtüberblick über den Kreis der mitwirkenden Unternehmen sichergestellt ist.

 

Sie leiten gemeinsam mit Prof. Lars Kirchhoff die Task Force Corporate Pledge des Round Table. Gibt es noch etwas, das Sie unseren Lesern in dieser Funktion mitteilen möchten?

Ich möchte die Unternehmensrepräsentanten in Ihrem Leserkreis gerne ermutigen, sich der hier vorgestellten Initiative anzuschließen. Aber auch diejenigen Ihrer Leser, die als Wirtschaftsmediatoren oder in anderer Funktion Zugang zu Unternehmen haben, können die Idee eines ADR-Corporate Pledges dort natürlich gezielt publik machen und verbreiten. Der Nutzen liegt auf der Hand: Die Unterzeichnung des Corporate Pledges ermöglicht es Unternehmen  – bei vollem Erhalt der Verfahrens- und Entscheidungsautonomie – ihr Konfliktmanagement auf einfache und vollkommen „risikolose“ Art und Weise nach Innen und Außen zu optimieren. Dort, wo die Wahl eines außergerichtlichen Verfahrens vorteilhaft erscheint – sei es aus Gründen der Kosten- oder Zeitersparnis oder mit Blick auf die künftige Geschäftsbeziehung zum Vertragspartner – erleichtert eine unterzeichnete Corporate Pledge Erklärung die einvernehmliche Festlegung auf ein solches Verfahren deutlich. Damit wird zugleich der Stellenwert von ADR-Verfahren wie etwa der Wirtschaftsmediation insgesamt gesteigert.

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

(das Gespräch mit Dr. Klowait führte  Viktor Müller)