Im Gespräch mit Dr. med Heinz Pilartz

 

Dr. med. Heinz Pilartz, Vorsitzender des überregionalen Vereins „Initiative Mediation und Gesundheit“ (IMUG e.V.) verbindet Medizin mit Mediation. Als Autor und Referent auf regionalen und überregionalen Veranstaltungen informiert er über individuelle Ansätze in Konflikten rund um das Kernthema Krankheit/Gesundheit und bei Konflikten im Gesundheitssystem. Unter dem Motto "Wem es gut geht, der braucht keinen Arbeitsplatzwechsel" begleitet er Unternehmen in ihrem Personalmanagement.

Wie wichtig ist das Thema Mediation für unsere Gesellschaft heute aus Ihrer Sicht?

Absolut wichtig, denn nur die Kooperation und das Miteinander wird dazu führen, dass sich die Menschen gut fühlen und eine gute Qualität der Arbeit abliefern. Und nur wenn sich die Menschen aufeinander einlassen, kann sich gemeinsam etwas Neues entwickeln – nur dann geht es voran. Leider hat es sich von der Entwicklung her in den letzten Jahren anders herum ergeben. Es herrscht nach wie vor viel Hierarchie, viel Druck, viel Macht. Geld ist wichtiger, faktisch gibt es weniger Möglichkeiten für die Menschen, bedürfnisorientiert zu leben.

Wie bewerten Sie denn das heute vorhandene Verständnis zum Thema Mediation in Deutschland?

Seit mehr als 15 Jahren mache ich jetzt Mediation. Am Anfang war es schwierig, weil die Menschen Mediation nicht kannten. Insofern glaube ich wirklich, dass wir angekommen sind. Letzte Woche habe ich auf einer Party mit einer Dame gesprochen, die sagte: „Du machst Mediation? Ihr könnt euch ja wahrscheinlich nicht mehr vor Arbeit retten!“ Das ist jetzt etwas übertrieben, aber es zeigt mir, dass das Bewusstsein für unser Angebot da ist. Trotzdem bleibt es ein Fremdwort: Die Haltung und das Füreinander oder Miteinander, –was ja wirklich bei der Mediation dazugehört -, das ist alles andere als angekommen. Die Technik ist bekannt, vielfach hat sich in Deutschland das Bewusstsein nicht verändert.

Wie unterscheidet sich die Mediation von anderen Konfliktlösungsmethoden?

Für mich ist Mediation die beste Konfliktlösungsmöglichkeit im sozialen Kontext, weil die Betroffenen gemeinsam an ihren eigenen Lösungen arbeiten. Es gibt keine Ratschläge, es gibt keinen Druck. Es wird ermöglicht, dass die Kommunikation zwischen den Protagonisten wieder in Gang kommt und damit die Grundvoraussetzung geschaffen wird, dass die Betroffenen besser verstehen. Sie erkennen meist ihre Emotionen im Zusammenhang mit den Konflikten und entwickeln (meist) ein größeres Verständnis für die andere Seite. Insofern unterscheidet sich meines Erachtens Mediation von anderen Verfahren: Es wird eine große Betonung auf die Emotionen gelegt wird.

Warum ist Mediation für sie persönlich ein guter Weg zur Einigung?

Ich komme ja aus dem Kontext der Medizin. Ich bin Arzt und habe jahrelang auch ärztlich in der eigenen Praxis gearbeitet und bin jetzt „nur noch“ als Mediator unterwegs. Für mich ist natürlich durch meinen Grundberuf die Krankheit ein wesentliches Thema. Und hier geht es um Krankheit im sozialen Kontext, sei es in der Familie, sei es am Arbeitsplatz, oder in sonstigen Zusammenhängen. Der Begriff „soziale Krankheit“ soll andeuten, dass mehr Menschen mit dem Thema Krankheit, oder Verlust der Gesundheit zu tun haben als nur der Betroffene: Es trifft immer mehr als einen. Aus diesem Blickwinkel kann auch nur mehr als einer eine Lösung aus einem entsprechenden Konflikt finden. Für mich gehören also der Kranke und die Gesunden an einen Tisch. Sie müssen miteinander einen Weg suchen, wenn die Krankheit Grund für Konflikte ist.

Welche Faktoren sind für Ihr Empfinden dann besonders entscheidend, damit eine Mediation erfolgreich wird?

Menschenliebe! Erziehung. Interesse am anderen. Verzicht darauf, die eigenen Ideen und Vorstellungen durchzusetzen. Ich muss zu meinem Gegenüber eine Beziehung aufbauen und zwar mit jedem Einzelnen. Und nur wenn ich zu beiden eine tragfähige Beziehung aufbauen kann, hat die Mediation eine Chance auf Erfolg.

Existieren ihres Erachtens besondere Risiken, um eine Mediation durchzuführen?

Ein Risiko ist die Rolle, auf die man sich einlässt. Und diese Rolle macht etwas mit dem Mediator. Durch diese Rollenaufgabe wird er von mindestens zwei unterschiedlichen Menschen im Konflikt in gleicher Weise als unabhängiger und neutraler Begleiter akzeptiert. Dabei muss er sich in einer Art und Weise verhalten, die dem eigentlichen Verhalten als Mensch nicht unbedingt entspricht. Menschliche Neigung ist eher, sich auf eine Seite zu schlagen, zu bewerten oder Stellung beziehen. Die spezifische Rolle kann belasten: Wenn ich mich nach einer Mediation nicht „entrolle“ dann passiert etwas. Ich habe mittlerweile festgestellt, dass ich dann regelmäßig Tachykardien (hohen Herzschlag) habe. Ich muss mich also ganz bewusst „entrollen“ und zum Nicht-Mediator werden.

Was bedeutet für Sie persönlich Mediation?

In meinem Ursprungsberuf war ich in einer Situation, wo ich auch „Macht“ hatte. Ich war der Experte. Das könnte beim Jurist dasselbe sein, beim Lehrer, oder ähnlichem. Ich war in einer Position der Stärke. Der andere war unten, ich war oben und wenn mir einer nicht behagt hat, war ich halt etwas unfreundlich. Ich finde es wunderbar, dass ich einen Weg gefunden habe, in dieser Welt auf Augenhöhe zu leben. Ich will diese hierarchischen Strukturen nicht. Ich liebe es überhaupt nicht, wenn jemand vorgibt: „ ich weiß wo es lang geht“. Ich habe Schwierigkeiten mit der „RICHTIG/FALSCH“- Angelegenheit. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Welt unglaublich kompliziert ist. So kompliziert, dass es für Vieles eigentlich keine Regeln geben kann. Dass wir immer wieder im Zwischenmenschlichen eine absolut exklusive Art des Miteinanders finden müssen. Das finde ich unglaublich spannend, das macht mich neugierig, das macht mich kreativ, das hält mich wach. Insofern lebe ich Mediation.

Können Sie eine spezielle Erfahrung aus ihrer Mediations-Praxis nennen?

Um mal ein konkretes Beispiel aus dem Bereich Medizin zu nehmen: Wir haben relativ junge Eltern eines leukämiekranken Kindes mediiert. Die waren in Konflikt geraten, weil ihre unterschiedlichen Krankheitskonzepte nicht kompatibel sind. Das Paar stand kurz davor sind, sich zu trennen. Und unsere Mediation erreichte es in nur einer Sitzung, eine nachhaltige Lösung für die ganze Familie zu finden. Das ist dann ein schönes Erlebnis.

Gibt es weitere besondere Erlebnisse aus Ihrer Praxis?

Besondere Erlebnisse gibt es ohne Ende. Ich mediiere jetzt seit 15 Jahren, das sind Hunderte von Mediationen. Aber beispielsweise vorgestern hatte ich eine Mutter – Tochter Sitzung. Die Mutter betreut als Hauptperson den schwerkranken Vater. Die Tochter wohnt im selben Haus und ist sehr kooperativ und freundlich. Trotzdem haben die beiden einen schweren Konflikt. Warum? Die Mutter fühlte sich unglaublich zurückgesetzt und zurückgestoßen, weil sie nicht mit der Familie ihrer Tochter in den Urlaub fahren durfte. Wir haben in der ersten Sitzung erarbeitet, dass die Tochter davon ausgegangen ist, dass es eine Vereinbarung zwischen ihr und der Mutter gab, dass einer der beiden in Ferienzeiten als Betreuer beim Vater bleiben solle. Aus Sicht der Tochter konnte die Mutter also gar nicht mit in den Urlaub fahren. Diese unterschiedliche Sichtweise wurde erst unter Mediationsbedingungen auflösbar.

Es gibt in unserer Gesellschaft leider zu wenig Hilfestellung, wenn es rund um Krankheit um die Situation der Angehörigen geht. Das ist die Chance für Mediation und Gesundheit. Und das wird gebraucht.

Gibt es Lebensphasen oder Bereiche, wo ihrer Einschätzung nach Mediation besonders gut in Frage käme und noch bekannter gemacht werden sollte, damit sie genutzt werden kann?

Also der Bereich Gesundheit wird faktisch überhaupt nicht mediiert. Als Mediator mit der Familie zusammenzusetzen und der Kranke und die Gesunden sitzen an einem Tisch und haben alle die gleiche Rolle. Das ist nicht üblich. Und in dem Zusammenhang ist eigentlich in fast jedem Krankheitszustand, der über die Grippe hinausgeht, Handlungsbedarf. Und sei es nur, um die unterschiedlichen Generationen in der Familie auf das Neue einzustellen, die Rollenverhältnisse zu klären und so weiter. Da wird viel zu wenig Mediation durchgeführt.

Was macht Ihrer Meinung nach einen guten Mediator aus? Was braucht er?

In erster Linie braucht er sehr viel Erfahrung. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man Vieles schon einmal erlebt hat. Er sollte nicht missionarisch sein. Er muss sich wirklich zurücknehmen können und den Medianten ihre Sache überlassen können. Er muss also sehr tolerant, sehr offen, sehr wenig ideologisch, eigentlich nicht politisch sein. Politisch höchstens im Sinne von Partizipation und ähnlichen Dingen.

Welche Voraussetzungen sollte jemand mitbringen, der sich zum Mediator ausbilden lassen möchte?

Es gibt eine ganze Menge Leute, die werden nie in ihrem Leben Mediatoren, obwohl sie toll ausgebildet sind. Woran liegt das? Es liegt daran, dass sie bestimmt Persönlichkeitsmerkmale in sich verbinden, die der Tätigkeit der Mediation komplett widersprechen. Das heißt, eine gewisse Form von Selbstbewusstsein bis hin zum Narzissmus widerspricht manchmal der Mediationstätigkeit. Also Persönlichkeitsmerkmale sind sicherlich wichtig. Und da gibt es einfach die kooperativen Persönlichkeitsmerkmale und die, die sehr „Einzeln“ sind. Es bedarf der Sozialkompetenz. Wer die nicht hat und nicht in der Lage ist, innerhalb eines Austauschs einer Gruppe an die Seite zu treten, der wird als Mediator nicht angenommen. Sich einreihen können ist auch eine Fähigkeit, die der Mediator braucht.

Gibt es weitere Aspekte, die Ihrer Meinung nach in Bezug auf Mediation wichtig sind?

Ich bin davon überzeugt, dass wir Mediatoren verschiedene Dinge noch nicht sehr gut im Griff haben, zum Beispiel das Marketing. Ich glaube, dass wir nicht gut genug zusammenarbeiten. Ich glaube, dass wir mehr als lockere Netze zusammenarbeiten müssen. Um dann auch unter der Überschrift zusammen arbeiten zu können: „Die Grundkompetenz eines Berufes plus Mediation.“ Ich biete das an. Ich sage, wenn sie einen Theologen brauchen, bringe ich einen Theologen mit, wenn sie einen Betriebswirt brauchen, bringe ich einen Betriebswirt mit, wenn sie einen Psychologen brauchen, bringe ich einen Psychologen mit. Also Zusammenarbeit. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, bevorzugt in Co- Mediation zu arbeiten. Ich bin auch davon überzeugt, dass eine Professionalisierung stattfinden muss im Sinne von „wir haben ein Büro“. Solange wir im Wohnzimmer mediieren, nehmen unsere Kunden uns nicht so sehr ernst.

Sie sind Gründer und Vorsitzender der Initiative Mediation und Gesundheit, welche Ziele verfolgt diese Initiative?

Uns geht es darum, auch soziale Faktoren im Kontext mit Gesundheit zu beachten. In der Definition der Weltgesundheitsorganisation beschreiben drei Faktoren Gesundheit: Körperliche, seelische und soziale Gesundheit. Und um die soziale Gesundheit kümmert sich kaum jemand. Das ist das Ziel unserer Initiative. Wir wollen das Bewusstsein schärfen, wir wollen mit entsprechenden Organisationen zusammen gehen, wir haben Initiativen mit Krankenkassen, wir haben Initiativen im Gesundheitsministerium und wir verfolgen ganz eindeutig den Weg, dass auch die soziale Gesundheit Behandlung braucht. Und wenn der soziale Aspekt enthalten ist, also der Kontext von mehr als zwei Menschen, dann ist immer auch Mediation einer der Wege, die helfen können.

An wen richtet sich die Initiative?

Auf der einen Seite zunächst an Mediatoren, die sich mit uns in Verbindung setzen und mit uns zusammen gehen und arbeiten wollen. Wir sind bereit, unsere Erfahrung weiterzugeben. Vielleicht können wir helfen, dass Andere nicht die gleichen dummen Fehler machen müssen, wie wir sie ja schon gemacht haben.

Zum anderen ist die Initiative gerichtet an potentielle Kunden, die Netz-affin sind und sagen, es muss uns doch jemand helfen können. Das sind beispielsweise gerade die Familien, in denen man an einem Konflikt durch Krankheit leidet – einer erkrankt und alle sind betroffen. Das sind ganz schnell 5, 8, 10 oder 12 Personen, bei einem einzigen Krankheitsfall.

Was hat sie bewogen, die Initiative zu gründen?

Der Grund lag darin, dass wir festgestellt haben, dass Multiplikatoren unser Angebot nicht weiterempfohlen haben. Sie haben nicht verstanden, was wir bieten konnten. Berater, Sozialpädagogen, Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern, Leiter von Altenheimen, Krankenhäusern, Rechtschutzversicherungen, Krankenkassen. Alle haben im Grunde genommen nicht gut genug verstanden, dass Mediation etwas anderes macht und keine Konkurrenz ist. Wir beraten nicht. Sondern wir gehen hin und nehmen diejenigen, die sich in einem solchen Problemfeld oder Konfliktfeld befinden, bei der Hand und versuchen alle Beteiligten in die Lage zu versetzen, einen gemeinsamen Weg finden. Das macht im Kontext von Gesundheit kaum jemand.

Und weil wir festgestellt haben, dass über viele Jahre diese Multiplikatoren kaum mal einen Kunden gebracht haben und wir schon gerne diese Arbeit machen, haben wir einen anderen Weg gesucht. Nun hoffen wir darauf, dass die Idee angenommen wird, dafür brauchen wir die Unterstützung aller.

Wir werden deshalb unter unserer Internetadresse auch einen Blog zu ganz verschiedenen Themen aus dem Gesundheitsbereich einrichten, sei es zum Recht, sei es öffentlicher Raum, sei es Familie, sei es Arbeit, wie auch immer. Wir freuen uns über unsere Leser, aber auch über Mediatoren, die sich an der Gestaltung des Blogs beteiligen wollen.

Wie lautet die Blogadresse?

Der Blog befindet sich auf der ersten Seite unserer Webseite unter http://www.imug.eu/.

Gibt es noch etwas, das Sie unseren Lesern mitteilen möchten?

Vielleicht, dass ich im November auf dem Mediationskongress in Dresden einen Workshop zum Thema anbieten werde. Und wir machen auch Weiterbildungen, falls sich jemand interessiert. Wir können da wirklich viele Tipps weitergeben. Die nächste Weiterbildung findet im September statt. Wer teilnehmen möchte, kann sich gerne mit IMUG in Verbindung setzen.

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. 
(das Interview mit Dr. Pilartz führte Birgit Goldenbow)